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Anzapfphänomene (Steal-syndrome)

Die Drucksenkung hinter Gefäßverschlüssen kann zu weiteren Effekten führen, die nichts mit der Versorgung der nachgeschalteten Strombahn zu tun haben, sondern vorgeschaltete Strombahnbereiche beeinflussen, die ihrerseits direkt oder indirekt mit dem Niederdrucksystem hinter Gefäßverschlüssen in Verbindung stehen. Prominenter Vertreter einer solchen Konstellation ist der sogenannte Subclavian-Steal-Effekt: Ist die linke Schultergürtelarterie (A. subclavia) vor dem Abgang der linken A. vertebralis (zieht an den Halswirbeln aufwärts zum Kopf) verschlossen, so hat die A. vertebralis direkte Verbindung mit dem Niederdrucksystem der A. subclavia hinter dem Gefäßverschluss. Die bei Muskelarbeit mit dem Arm entstehende Umkehr der Druckdifferenz (der Druck in der A. basilaris (im Kopf) ist nun größer als der in der A. subclavia) führt zu einer Stromumkehr aus der A. vertebralis in die A. subclavia.

Ein weiterer, relativ unbekannter Steal-Effekt kann sich auf Grund der Lagebeziehung zwischen der Darmdurchblutung und der Beinstrombahn entwickeln. Liegt ein hoher Aortenverschluss vor (vor dem Abgang der A. mesenterica inferior), bilden die Riolan`sche Anastomose (A. mesenterica superior -> A. colica media -> A. colica sinistra -> proximaler Teil der A. mesenterica inferior), distaler Abschnitt der A. mesenterica inferior sowie die A. rectalis superior und inferior einen Umgehungskreislauf, der jenseits des Verschlusses in die Beckengefäße (Aorta bzw. die A. iliaca externa und interna) einmündet. Im Falle eines tiefgelegenen Aortenverschlusses (unterhalb der A. mesenterica inferior) wird der Umgehungskreislauf über die Aa. rectales direkt aus der A. mesenterica inferior gespeist (ileofemoraler Steal-Effekt).

Beschwerden in Form zerebraler oder zerebellärer Dysfunktion während Beanspruchung der Armmuskulatur oder kolikartiger Bauchschmerzen während Belastung der Muskeln des entsprechenden Beines (Angina abdominalis) sind relativ selten. Sie kann entweder nur unmittelbar nach Auftreten eines frischen Verschlusses für einen begrenzten Zeitraum auftreten oder chronisch, wenn der Einstrom in den angezapften Teilkreislauf durch zusätzliche Strombahnhindernisse, z. B. Stenosen im Bereich der Halsgefäße (Karotisstrombahn) bzw. der übrigen Darmgefäße (Mesenterialarterien) vermindert ist. Dann nämlich ist die Blutdruckreserve soweit gemindert, da die Zuschaltung einer ganzen Extremität während Muskelarbeit zu einem Druckabfall im speisenden Umgehungskreislauf und somit zu einer entsprechenden Symptomatik führt. Im letzteren Falle spricht man nicht mehr von "Effekt", sondern "Syndrom" (also: Subclavian-Steal-Syndrom bzw. ileofemorales Steal-Syndrom).